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Das Abenteuer TORTOUR SPRINT SOLO hat schon Wochen vor dem eigentlichen Start mit einer Nervosität, die sich immer mehr gesteigert hat, angefangen. Gedanken wie "worauf habe ich mich da nur eingelassen" bzw. "warum hab ich mich nur für so ein Ultra-Cycling-Rennen angemeldet" kamen mir in dieser Zeit bestimmt nicht nur einmal in Sinn. Ich glaub ich kann sagen, dass ich noch nie in meinem Leben so nervös an einen Wettkampf bin. Wobei ich es für mich noch nicht einmal unbedingt als Wettkampf angesehen habe, sondern mehr als ein Event oder Abenteuer - eine Herausforderung, ob ich diese 386 Kilometer und 3690 Höhenmeter in 21 Stunden schaffen kann.
So bin ich dann also völlig nervös nach Schaffhausen gefahren und habe vor dem Check-In zur Tortour erstmal mein Zimmer in der Unterkunft bezogen. Und wie sich herausgestellt hat, hat bereits dort das Abenteuer angefangen (hätte ich mal besser die Bewertungen gelesen): Zimmer- und WC-Türen gab es keine, sondern nur Vorhänge. Und ob Spiegel an Decke und Wänden, Lichterketten und überall Bilder des Besitzers nun dekorativ sind oder nicht, darüber lässt sich streiten. Das Ganze wurde als Terrassenzimmer angepriesen, was zumindest dem einigermassen entsprach. Janu dachte ich, du bist ja eh nicht viel da und für 2 halbe Nächte wird es das schon tun. Also schnell weiter zum Tortour-Check-In, Briefing und Prolog von 1 km und 50 Hm, welcher die Startreihenfolge für den nächsten Tag bzw. Nacht festlegen sollte. Das Ergebnis war eine Startzeit um 3:43:30 - da ich eh nicht wirklich gut schlafen konnte, war ich für diese frühe Uhrzeit eigentlich noch sehr dankbar! Gut präpariert mit Rucksack für alle Eventualitäten (Ersatzschläuche, -kleider, -lampen inkl. Powerbank, Essen, Wärmepads, Blasenpflaster etc.) und gespannt darauf, was die nächsten Stunden so mit sich bringen werden, bin ich dann als achte von neun Solo-Dame von der Startrampe in der IWC-Arena:
3, 2, 1, go…

 

Etappe 1: Schaffhausen-Kreuzlingen (48km - 200Hm)
Soweit ich mich erinnern kann, bin ich noch nie zuvor in der Nacht und mit Licht auf dem Rennvelo gesessen. Erstmal aus Schaffhausen draussen, wurde es dann auch richtig dunkel und ruhig auf der sonst viel befahrenen Haupstrasse 13 und nur das gleichmässige Surren der Räder war zu hören. Hin und wieder kam von hinten mal einer der Solo-Männer an und hat mich überholt – so wusste ich zumindest immer, dass ich noch auf dem richtig Weg bin. Das WarmUp der ersten 48 km verlief dann auch ohne nennenswerte Zwischenfälle. Das Einzige war vielleicht, dass es ab und zu geregnet hat und ich über meine Kleiderwahl mit Überzug für die Schuhe, langer Hose, Ärmlinge, Langarm-Shirt, Regenjacke, Stirnband und warmen Radhandschuhen froh war.

 

Etappe 2: Kreuzlingen-Oberriet (67km - 210Hm)
Auch hier gab es hin und wieder mal eine kleine Regendusche und der Gegenwind machte das Ganze auch nicht gerade angenehmer. Die vielen Baustellen und Bahnübergänge mit roten Ampeln unterwegs verhalfen immer wieder zu kleinen Pausen und der zähfliessende morgentliche Berufsverkehr verhalf auch nicht wirklich, um ein gleichmässiges Tempo fahren zu können. In Oberriet angekommen gab es dort an der Timestation dann die erste Verpflegungsstelle. Mittlerweile war es hell geworden (7:45) und die dunklen schwarzen Wolken hatten sich verzogen. Zeit das Licht auszuschalten und die Regenjacke und die Leuchtweste auszuziehen.

 

Etappe 3: Oberriet-Filzbach (70km - 650Hm)
Mit wärmer werdenden Temperaturen aber auch mit etwas Gegenwind, ging es weiter der Hauptstrasse 13 entlang bis nach Sargans und von dort Richtung Walenstadt weiter nach Murg, wo dann der erste nennenswerte Anstieg nach Filzbach kam. Mittlerweile hatte ich schon etwas Mühe mit dem Sitzen auf dem Sattel, die Blase drückte auch ein wenig und noch vor dem Anstieg musste ich einen Zwischenhalt einlegen, um zumindest die Ärmlinge und das Stirnband auszuziehen und währenddessen noch einen Riegel zu essen. Ausserdem verfluchte ich den Rucksack, da er immer wieder verrutschte. Auf dem Kerenzerberg in Filzbach angekommen, bin ich erstmal auf`s WC um alle überflüssigen Dinge loszuwerden. Froh um eine leere Blase aber auch froh (bei den nun warmen Temperaturen) endlich diese lange Hose, das Langarm-Shirt und die Regenüberschuhe ausziehen zu können, ging es mit einer längeren Pause wieder besser.

 

Etappe 4: Filzbach-Pragelpass (32km - 990Hm)
Um 11:15 ging es weiter auf die kürzeste aber mit 990Hm sicher auch steilste Etappe. Durch meine 2 Jahre im Glarnerland wusste ich, dass es schon mal bis zum Klöntal zum Teil steil wird und bis Richisau hatte ich noch eine ungefähre Erinnerung, was da auf mich zukommt. Alles was dann kam war ein Überraschungspaket… Im Klöntal bin ich darum erstmal ins Restaurant, um was anderes zu trinken als diese Iso-Drinks, bin nochmal auf`s WC und hab die Bidons aufgefüllt. Danach lief es bis Richisau und noch ein Stück weiter ganz gut, bis zu dem Schild, das eine 18%ige Steigung ankündigte. Gut dachte ich, dann schieb ich halt ein bisschen, soweit kann das ja bis zum Pass nicht mehr sein - weit gefehlt! Die Strasse bis zum Pass hat sich schier endlos mit immer wieder happigen Steigungen hingezogen und ich hab wirklich viel geschoben - zumindest meinen Po hats gefreut. Als ich endlich auf dem Pragelpass völlig verspätet und als eine der letzten Teilnehmer auf der Liste bei der Timestation ankam, hab ich mir geschworen, dass ich da nie wieder mit dem Velo hochfahren werde und hab zuerst einen Helfer um ein Passfoto mit meinem Handy gefragt.

 

Etappe 5: Pragelpass-Bauma (91km - 990Hm)
Die Pause auf dem Pragelpass fiel eher kurz aus, da mir schnell kalt wurde. Ich zog die langen Radhandschuhe an und die Regenjacke über und auf ging`s zur längsten Tages-Etappe erstmal vom Pass runter ins Muotathal. Abfahrten (sollte man meinen) sind zum Erholen da - doch nicht in diesem Fall. Auf einer steilen engen kurvenreichen Strasse mit sehr schlechtem Belag und Gegenverkehr, musste ich 3 Mal anhalten und immer wieder die Hände/Arme ausschütteln, da ich fast nicht mehr bremsen konnte. Ausserdem rutschte der Rucksack ständig und machte die Abfahrt dadurch nicht besser. Unten im Muotathal dann wieder ein Stopp - dieses Mal um die Handschuhe und die Regenjacke auszuziehen. Danach ging es leicht abfallend ganz gut weiter nach Schwyz und von dort Richtung Goldau. Vor dem Anstieg zum Steinerberg hab ich nochmal eine Schiebepassage eingelegt. Das Sitzen machte nun immer mehr Mühe (was zu erwarten war), die Schultern taten weh und vor allem der linke Arm war wie taub (was ich so nicht erwartet habe aber angesichts des schweren Rucksacks nachvollziehbar war). Ausserdem konnte ich so nochmal was "in Ruhe" essen, dabei ein wenig die schöne Landschaft geniessen und mich so wieder motivieren. Der gleichmässige Anstieg über Steinerberg nach Sattel ging dann auch wirklich sehr gut und ich hatte wieder Spass an der Sache. Der hielt leider nur bis Sattel an, wo die Streckenführung weiter auf einer Nebenstrasse bis nach Rothenthurm verlief und nicht wie erhofft auf der Hauptstrasse. Verkehrstechnisch und landschaftlich sicher die bessere und schönere Lösung aber für mich nach so vielen Kilometern (ca. 260) und Höhenmetern einfach zu steil zum Fahren - also wieder schieben... Inzwischen waren da noch zwei 3er-Frauen-Teams bei mir, die mich motiviert haben und die kurzen Unterhaltungen taten wirklich gut. Ab Sattelpass ging es dann nur noch flach oder bergab auf der Hauptstrasse 8 bis nach Pfäffikon runter. Leider konnte ich auch da nicht entspannt die Abfahrt geniessen, da es mittlerweile nach 17 Uhr war, der Feierabendverkehr voll im Gange war und ich ständig wegen abbiegenden Autos, Ampeln o.ä. bremsen musste. Froh, den Stadtverkehr in Pfäffikon, Rapperswil und Jona überlebt zu haben, bin ich am Ortsausgang erstmal in eine Bäckerei, um nochmal eine Cola zu trinken, was zu essen und um auf`s WC zu gehen. Da die Bäckerei um 18:30 geschlossen hat, musste ich dann (gezwungenermassen) weiter fahren. Ab diesem Zeitpunkt kannte ich die Strecke und die Regionen nur noch wage und hoffte einfach, kein Tortour-Schild bzw. keine Abzweigung bis Bauma zu verpassen - noch war es ja auch hell. Bei Wald kam ein Tortour-Fahrzeug neben mich gefahren, um zu fragen, ob alles in Ordung sei - ok dachte ich, das ist dann wohl der Besenwagen... Ich bestätigte dass es mir soweit gut geht aber mit dem Gedanken spiele, nur noch bis nach Bauma zu fahren und dann aufzuhören, denn mittlerweile wusste ich kaum noch wie den Lenker halten - egal welche Position, es tat einfach nur weh und schalten und bremsen war mit dem linken Arm kaum mehr möglich. So hab ich mich noch die ca. 15 Kilometer bis nach Bauma gequält und nach 16 Stunden im Sattel (mehr oder weniger) dort dann entschieden, dass nach 314.5 Kilometern und 3`000 Höhenmetern für mich Schluss ist.

 

Erfahrungswerte und Lerneffekte Ultra-Cycling:

- nie wieder ein 3kg-Rucksack auf solch einer Distanz

- ein Navi hilft halt doch für die Orientierung in der Nacht

- meine Beine sind nicht unbedingt der limitierende Faktor

- Verpflegung kann ich nun einschätzen für solche Distanzen

- ich kann bis zu einem gewissen Punkt Schmerzen ertragen und überwinden

- ich kann mich an kleinen Dingen wieder motivieren

- Müdigkeitskrisen blieben bis zu diesem Zeitpunkt aus

Obwohl ich die letzte Etappe bis ins Ziel leider nicht mehr fahren konnte, freue ich mich trotzdem, solch eine Strecke geschafft zu haben und kann zumindest sagen, dass ich gemäss Reglement gefahren bin und keinerlei Hilfe/Betreuung von Aussen hatte.

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